Trans Asia Express … mit dem Zug von der Türkei in den Iran

Es fährt ein Zug nach nirgendwo

Türkei, Iran | Oktober 2014

Ich liebe Zugfahren – besonders im Ausland. Von allen Verkehrsmitteln die es gibt, würde ich stets den Zug wählen. Im Speisewagen sitzen und die Aussicht geniessen, sich bei bei Bedarf problemlos die Füße vertreten und bei Nachtfahrten relativ bequem schlafen zu können, dass sind die großen Vorzüge des Reisens mit dem Zug. Als ich von dem einmal wöchentlich, zwischen Ankara und Teheran, verkehrenden Trans Asia Express erfahren habe, kaufte ich mir in Istanbul umgehend ein Ticket (35 Euro). Drei Tage und zwei Nächte benötigt der Zug auf seiner Fahrt von der türkischen in die iranische Hauptstadt – vermutlich eines der letzten Bahnabenteuer unserer Zeit.

Ich besteige den Trans Asia Express in Kayseri, einer Großstadt in Kappadokien. Schnell finde ich mein Abteil, in dem bereits Reza aus Shiraz sitzt. Wenig später gesellt sich Sia, ein Student aus Esfahan dazu. Als schließlich der in Istanbul lebende Auslandskorrespondent Reinhard eintrifft, sind wir komplett.

Bahnhof Kayseri Bahnhof in Kayseri – kurz vor der Weiterfahrt des Trans Asia Express.

Mit schätzungsweise hundertfünfzig Passagieren ist der Zug diesmal nicht ganz ausgebucht. Neben einem guten Dutzend westlicher Touristen sind vor allem Iraner an Bord, die für die Türkei kein Visum benötigen. Daher ist die Türkei für sie das Tor zur westlichen Welt – eine willkommene Gelegenheit, um ein paar Tage den Alltag zu vergessen. Mein Sitznachbar Reza ist einer diese freiheitssuchenden Iraner. Mir wird erzählt, dass er seit der Abfahrt des Zuges aus Ankara bereits eine Flasche Rotwein geleert hat. Auch während ich mich mit ihm unterhalte, greift er genußvoll zu seinem Dosenbier. Wären wir im Iran, würden ihm als Strafe dafür achtzig Peitschenhiebe drohen, den dort ist der Verkauf und der Konsum von Alkohol streng verboten.

Der Hunger treibt Reinhard und mich in den Speisewagen, wo wir Gudrun und Maria aus Österreich kennen lernen. Gudrun betreibt eine Galerie in Wien und fährt regelmäßig in den Iran, um dort Kunstwerke zu kaufen. Ihre Freundin Maria ist ebenfalls Journalisten, diese Reise aber rein privater Natur. Wir unterhalten uns sehr angenehm bis spät die Nacht und als ich am nächsten Morgen aufwache, ruckelt der Zug bereits durch Kurdistan. Zwangsläufig muss ich an Karl May und sein Werk «Durchs wilde Kurdistan» denken. Heute sollten wir mehr stehen als fahren. Heftige Regenfälle in der vergangenen Nacht haben diverse Erdrutsche ausgelöst. Im Gleisbett liegendes Geröll verhindert mehrere Male die Weiterfahrt. Teilweise befinden wir uns weit abseits jeglicher Zivilisation. Es dauert Stunden bis freiwillige Helfer die Gleise freischaufeln und der Trans Asia Express langsam weiterfahren kann.

Trans Asia Express Der Trans Asia Express kämpft sich durch das wilde Kurdistan.

All das tut der Stimmung aber überhaupt keinen Abruch. Anstatt sich über die Verspätung zu ärgern, feiern die Iraner lieber bei Musik und Efes-Bier im türkischen Speisewagen. Es wird gesungen, geklatscht und getanzt. Die Gedanken sind frei und die Probleme weit weg. Die Türkei erscheint in diesem Moment als Hort der Sicherheit und Freiheit. Denn im Iran gelten strengere Gesetze. Eine Sittenpolizei überwacht die Kleiderordnung. Für alle Frauen, Touristinnen eingeschlossen, besteht Kopftuchzwang. Doch noch liegt es bei den meisten nur locker um den Hals.

Trans Asia Express Iranische Party im türkischen Speisewagen.

Kurz nach Mitternacht erreichen wir Tatvan und den Van See. Hier geht es auf die Fähre. Ein rostiger alter Kahn, bei dem man sich Sorgen machen könnte, ob er das andere Ende des Sees erreichen wird. Es ist finster und kühl. Schnell begebe ich mich in den Aufenthaltsraum. An der Bar gibt es Tee und Snacks. Über einen uralten Röhrenfernseher flimmern türkische Filme. Die Motoren brummen laut und doch dauert es nicht lange bis ich einschlafe.

Rechtzeitig zum Sonnenaufgang wache ich auf und wenig später erreicht die Fähre die Stadt Van. Direkt am Ufer sollte eigentlich der iransche Anschlusszug stehen.

Sonnenaufgang Van See Sonnenaufgang über dem Van See.

Leider ist kein Zug in Sicht. Mittlerweile dürften wir gut zehn Stunden dem Zeitplan hinterherhinken. Dennoch verspüre ich immer noch keine schlechte Laune oder gar Frust. Als ich mich wieder hinlegen wollte, vernehme ich plötzlich ein hektisches Treiben. Der Zug fährt ein und wir werden in eine Halle gebeten. Der iranische Zugchef erklärt, dass alle Reservierungen nicht gelten. Die Passagiere müssen sich in Vierergruppen für ein Abteil registrieren. Trubel bricht aus, alle drängen zum Schalter. Iraner sind Meister im Vordrängeln und Ellenbogen ausfahren. Dennoch gelingt es Reinhard, der sehr gut Farsi spricht, für sich, Gudrun, Maria und mich ein Abteil zu ergattern. Einige Stunden später erreicht der Zug Kapiköy, die türkische Seite des Grenzübergangs. Ein einsamer Bahnsteig im Niemandsland. Wir sammeln uns in einer Schalterhalle zur Passkontrolle, die erstaunlich schnell erledigt ist.

Der Trans Asia Express rollt weiter, bis zum iranischen Grenzposten Razi. Ein grimmig blickender Grenzbeamter tritt an unser Abteil und sammelt die Pässe ein. Danach heißt es «Alles muss raus». Über eine Stunde stehen wir bei einsetzendem Regen mit unseren Koffern am Bahnsteig in der Schlange; nichts tut sich. Hektisch rennt ein Zöllner durch die Menge und verteilt die abgestempelten Reisepässe. Dann öffnen sich die Tore. Das Gepäck der Iraner wird gründlich durchsucht, wir westliche Reisende müssen nicht einmal den Rucksack öffnen. Es ist Mittag, als der Zug endlich losfährt. Der Schaffner serviert das zuvor bestellte Mittagessen; Hähnchenkeule mit Reis. Wir fahren durch die nördlichen Ausläufer des Zagros Gebirges dem Sonnenuntergang entgegen. Schroff breitet sich das Massiv vor den Fenstern aus. Keine Menschenseele, weit und breit.

Landschaft Nordwestiran Das Zagros Gebirge, unweit der türkisch-iranischen Grenze.

Am Abend erreicht der Trans Asia Express die Stadt Tabriz. Eigentlich sollte der Zug bereits in Teheran sein. Nach fünfzig Stunden Fahrzeit ist der Wunsch nach einer erfrischenden Dusche so groß, dass ich mich entschließe hier auszusteigen. Bis Teheran wären es weitere dreizehn Stunden, wahrscheinliche Verspätungen nicht eingerechnet. Eine abenteuerliche Zugfahrt geht für mich zu Ende, auf der ich viele interessante Menschen getroffen habe und keine einzige Minute der Reise missen möchte.