Bei Mohammad und seiner Familie soll man iranisches «desert feeling» hautnah erleben können. Das klingt spannend, denke ich mir und so folge ich einer Empfehlung meines Reiseführers und fahre in das Wüstendorf Toudeshk, welches sich etwa auf halber Wegstrecke zwischen Esfahan und Yazd befindet. Nachdem ich an der Hauptstraße aus dem Bus ausgestiegen bin, und weit und breit keine Menschenseele sehe, fühle ich mich tatsächlich, als sei ich in einer Wüste ausgesetzt worden. Doch bereits nach wenigen Minuten hält ein alter «Renault 5» neben mir. Der Fahrer fordert mich auf einzusteigen. Er sei ein Freund von Mohammad und würde mich zu ihm bringen. Am Tak Taku Guesthouse angekommen, finde ich einen verwaisten Innenhof vor. Niemand scheint zu Hause zu sein.
Ich werfe mein Gepäck in eine Ecke und laufe durch Toudeshk. Das Dorf besteht aus einer Handvoll staubiger Straßenzüge. Links und rechts türmen sich, die für diese Region des Iran charakteristischen, Lehmmauern auf. Dahinter liegen die ebenfalls mit Lehm verputzten Wohnhäuser.
Am Hauptplatz steht eine moderne Moschee, die so gar nicht in das Gesamtgefüge des Ortes passt. Sie wurde mit finanzieller Hilfe eines edlen Spenders errichtet, wie ich später erfahren sollte.
Dann sehe ich in der Ferne einen Mann, der mir zuzuwinken scheint. Ich vermutete es ist Mohammad und eile zu ihm. Er begrüßt mich freundlich und zeigt mir anschließend sein Haus. Alles wirkt sehr bescheiden. Gegessen und geschlafen wird auf dem Boden. In der Küche befindet sich eine Duschvorrichtung, die ich besser nicht ausprobiere. Außerhalb der Wohnräume liegt die Toilette, ein iranisches Plumpsklo. Den einzigen Luxusartikel, den sich die Familie gönnt, ist ein moderner Fernseher. Mohammad lebt hier mit seinem Schwager, seiner Schwägerin und deren drei Kinder. Er selbst ist Single.
Das Abendessen findet im Kreise der Familie statt. Es wird eine Kräutersuppe und «Dizi», ein traditioneller Eintopf, serviert. Im Anschluß erzählt mir Mohammad, bei Tee und frischen Datteln, seine Lebensgeschichte. Bereits seit 14 Jahren beherbergt er Reisende. Früher stand er oft stundenlang an der Hauptstraße, wo er meist völlig erschöpfte Fahrradfahrer ansprach, sie zu sich einlud und mit Speis und Trank versorgte. Das brachte ihm seinen Beinamen «crazy boy from the desert» ein. Mittlerweile ist er 28 Jahre alt – die Bewirtung von Reisenden ist nach wie vor seine große Leidenschaft. Seine Lebenseinstellung war stets, mehr zu geben als zu nehmen. Vor zwei Jahren wendete sich das Blatt und er wurde reich beschenkt. Ein älteres amerikanisches Ehepaar überreichte ihm einen Umschlag mit 15.000 USD. Von diesem Geld kaufte sich Mohammad ein altes, heruntergekommenes Haus im Ort, welches er mir am nächsten Morgen stolz präsentieren sollte. Die Renovierungsarbeiten werden kommendes Jahr abgeschlossen sein. Dann wird er deutlich mehr Gäste als heute aufnehmen können. Das dadurch der Charme seines derzeitigen Domizils verloren geht, scheint ihm nicht bewusst zu sein. Ich bin mir sicher, dass Mohammad diese Geschichte vielen Gästen vorträgt, wodurch er sie rhetorisch perfektioniert hat. Mal laut, mal leise, teilweise mit langen Sprechpausen. Bei seinem Erzählstil muss ich zwangsläufig an die Märchenerzählungen aus «1001 Nacht» denken. Nichtsdestotrotz fühle ich mich gut unterhalten und der Großteil seiner Aussagen entspricht bestimmt auch der Wahrheit.
Nach einer frostigen Nacht auf einer am Boden liegenden Matratze, verabschiede ich mich am späten Morgen von Mohammad und laufe zur Hauptstraße. Es sollte nicht lange dauern bis ein Bus anhielt und ich dem «desert feeling» den Rücken kehren musste.