In Turkmenistan mutiere ich für 6 Tage vom Individualreisenden zum Pauschaltourist. Das Land, das gerne als das Nordkorea Zentralasiens bezeichnet wird, lebt von Gas, Öl und Baumwolle – und nicht vom Tourismus. Dementsprechend kostspielig sind Reisen nach Turkmenistan, da man gezwungen wird vor Einreise eine Tour bei einem staatlich autorisierten Tourismusunternehmen zu buchen. Um die Kosten einigermaßen im Rahmen zu halten, verzichte ich auf einen Reiseführer und buche lediglich Transport und Unterkünfte.
Anders als von meinem Reiseveranstalter mitgeteilt, empfängt mich mein «russian speacking driver» Oleg bereits im Migrationsbüro an der turkmenisch-usbekischen Grenze. Außerdem spricht er sehr gutes englisch und sein «Nissan Jeep» ist vollklimatisiert. Die beiden ersten Tage werden wir von Mick, einem australischen Weltenbummler auf einem BMW Motorrad, den ich zufälligerweise in meinem Guesthouse in Buchara kennengelernt habe, begleitet.
Kunye-Urgench
Nach rund 100 km erreichen wir Kunye-Urgench, einst Hauptstadt des riesigen und wohlhabenden Staates Khorezm. Invasionen der Mongolen um «Dschingis Khan» und später von «Tamerlan», haben nur Ruinen von dieser großartigen Stadt gelassen. Im Gegensatz zu den Städten in Usbekistan, die nach ihrer Zerstörung neu aufblühten, ist das alte Konye-Urgench eine Brachfläche mit nur wenigen, erhaltenen Monumenten aus dem 11. bis 16. Jahrhundert.
Das Ruinenfeld zieht trotzdem Pilger aus ganz Turkmenistan an, die entlang der zerfallenen Bauwerke und der rekonstruierten Moscheen wandern und zum kurzen Gebet innehalten.
Es ist bereits Nachmittag und die Zeit drängt. Vor uns steht eine mehrstündige Fahrt durch die Karakum Wüste
Darvaza Gas Krater
Als das «Tor zur Hölle» bezeichnen Einheimische dieses, inmitten der Wüste gelegene, brennende Loch. Auf der Suche nach Gasvorkommen, stießen sowjetische Geologen 1971 zufällig auf einen Hohlraum, der unter der Bohrplattform kolabierte. Es entstand ein Loch mit einem Durchmesser von etwa 70 Metern.
Da aus dem Krater große Mengen Gas austraten, das die Bewohner des nahegelegenen Dorfes «Darvaza» bedrohte, entschloss man sich, das Gas einfach abzufackeln. Das Dorf hat diese Katastrophe zwar überlebt, wurde allerdings 2004 dem Erdboden gleich gemacht, da es dem damaligen Präsidenten, der eine neu erbaute Straße besichtigte, nicht gefiel. Entgegen der ursprünglichen Hoffnung der Geologen verlosch das Feuer nicht nach einigen Tagen, sondern ist weiterhin aktiv. Seit nunmehr über 40 Jahren heizt dieser Gaskrater kostenlos die Wüste und ist eine der absoluten Touristenattraktionen in Turkmenistan. Besonders bei Dunkelheit entfaltet das Inferno seinen ganzen Reiz.
Wir übernachten unweit des Kraters und Oleg zaubert, aus den am Morgen gekauften Lebensmittel, ein schmackhaftes Abendessen. Kurz nach Sonnenaufgang werfe ich einen letzten Blick in den Krater, ehe wir uns auf die Weiterfahrt in die turkmenische Hauptstadt Ashgabat begeben.
Auf halber Strecke befindet das Dorf Erbent, in dem die motorisierten Bewohner sich brennend für die neue Zweiradtechnologie von BMW interessieren.
Immer wieder kann ich am Wegesrand Kamele beobachten, die heute in Turkmenistan als heilige Tiere angesehen werden. Kamelfleisch wurde aus den Supermärkten verbannt und wird nur noch von der Landbevölkerung verzehrt.
Kurz vor Ashgabat halten wir an einem Wasserloch, da Oleg seinen Wagen vom gelben Wüstensand befreien muss. Denn wer mit einem dreckigen Auto durch die Hauptstadt fährt, riskiert einen Strafzettel.
Merw
Während Mick eine Nacht länger in Ashgabat verbringt, um dann in den Iran weiterzureisen, fliege ich am nächsten Morgen mit «Turkmenistan Airlines» nach Mary. Am Flughafen werde ich von Ibrahim empfangen und schnurrstracks nach Merw gefahren. Nach etwa 30 km fallen mir gewaltige Lehmmauern auf, die sich durch die Halbwüstenlandschaft ziehen. Das Ruinenfeld, in das ich nun einfahre, erstreckt sich über 80 km². Ich bin in Merw, das vor Jahrhunderten als geistiges und wirtschaftliches Zentrum Zentralasiens eine Weltstadt mit über 100.000 Einwohner war.
Zigmal im Laufe seiner Geschichte zerstört, entstand Merw immer wieder an einem neuen Platz. So erklärt sich die Weitläufigkeit des Geländes. Die Stadt entwickelte sich besonders dadurch, dass sich hier wichtige Karawanenstraßen kreuzten. Die wichtigste sollte die legendäre Seidenstraße werden.
Es ist brütend heiß und ich bin froh, die Strecken zwischen den einzelnen Monumenten, nicht laufen zu müssen. Schließlich halten wir an dem Pilgerkomplexes Yusuf Hamadani, dem «Altötting Turkmenistans». Ein gepflasterter Parkplatz, mehrere neue Ziegelbauten, eine ebenfalls recht neu wirkende Moschee, daneben ein Mausoleum.
Es ist der Ort, wo Scheich Jusuf Hamedani ruht. Die Turkmenen nennen ihn «Lehrer aller Lehrer», denn er unterrichtete den berühmten Scheich Ahmed Yesevi, den bedeutendsten Poeten des Landes.
Mary
Die Stadt Mary ist das Zentrum der turkmenischen Gasproduktion. Nach der Besichtigung Merws, setzt mich Ibrahim am frühen Nachmittag an meinem Hotel ab. Ich nutze den Rest des Tages und laufe ein wenig durch Mary. Schnell wird mir klar, wo die turkmenischen «Gasdollars» hinfließen – in prunkvolle Bauten und Moscheen.
Die Innenstadt wirkt verlassen. Wo sind die Bewohner? Sind sie alle ausgeflogen? Nein, sie leben in ziemlich heruntergekommenen Gebäudekomplexen abseits des Zentrums.
Abiverd & Anau Moschee
Pünktlich um 8:00 Uhr steht Ibrahim in der Hotellobby. Heute steht die knapp 400 km lange Rückfahrt nach Ashgabat auf dem Programm. Im Nachhinein wäre es sinnvoller gewesen zurückzufliegen, denn die 6-stündige Fahrt wurde erst kurz vor Ashgabat interessant. Zum einen breitet sich das Grenzgebirge zum Iran auf und zum anderen halten wir an den Ruinen von Abiverd, eine weitere antike Stadt in Turkmenistan, direkt am Highway gelegen. Wenige Mauerreste und Silhouetten erinnern an seine einstige Größe.
Kurz vor den Toren Ashgabats befindet sich die Anau Moschee, ein Open-Air Gotteshaus, das heute v. a. als Pilgerstätte dient.
Kinderlose Paare kommen mit Kinderkleidung und Babypuppen hierher und beten für baldigen Nachwuchs.
Ashgabat
Ashgabat was bist Du? Dubai, Las Vegas oder Germania? Die Stadt wirkt auf seine Besucher extrem surreal, ich fühle mich in einer anderen Welt, Teil eines Science Fiction Films. Die Innenstadt ist voller Kuppelbauten aus Marmor und Gold.
Weiße Wohnblöcke, in denen Angehörige des Staatsapparats leben, große Plätze mit Springbrunnenanlagen und geleckte Bürgersteige von denen man Essen könnte. Die prunkvollen Ministerien, Museen und Theater stehen quasi leer. Sie scheinen in dieser Stadt eine rein repräsentative, propagandiste Funktion zu haben.
Wie bereits in Mary stelle ich mir die Frage: Wo seid ihr liebe Bürger? Die Bewohner Ashgabats hat es in die engen Mietswohnungen um den Stadtkern herum verschlagen. Dementsprechend trostlos, fast schon wie eine Geisterstadt wirkt die Innenstadt. Selbst der «Ruski Bazaar» weckt bei mir keine orientalischen Gefühle.
Dennoch treffe ich auf hilfsbereite, nette Menschen. Selbst Polizisten, die an jeder Straßenecke stehen und die leeren Gebäude bewachen, begrüßen mich per Handschlag, wenn ich Sie höflich darum bitte ein Foto machen zu dürfen. Speziell das Fotografieren von Regierungsgebäuden ist eigentlich strengstens verboten. Von meinem Reiseveranstalter werde ich im zentral gelegenen Polizeihotel untergebracht. Wahrscheinlich der sicherste Ort, an dem ich je übernachtet habe. Insgesamt zwei Tage verbringe ich kopfschüttelnd in dieser Metropole, die so gar nicht pulsiert. Auf seine Art ist Ashgabat aber etwas ganz Einmaliges.
Fazit
Ich bereue es nicht nach Turkmenistan gereist zu sein, auch wenn die Tour ein deutliches Loch in meiner Reisekasse hinterlassen hat. Die zum UNESCO Weltkulturerbe zählenden Städte Kunye-Urgench und Merw sind einzigartige Zeugnisse zentralasiatischer Baukunst und Kultur. Demgegenüber steht das moderne, aus der Wüste gestampfte Ashgabat, die verrückteste Stadt, die ich je besichtigt habe. Nachts am Kraterrand zu stehen und die Hitze des brennenden Gases zu spüren, wird mir unvergesslich bleiben. Um eine abschließende Einschätzung zu Turkmenistan und seinem Staatsgefüge ringe ich noch.