Beim Stichwort «Canyons dieser Welt», fällt einem sofort der Grand Canyon in den USA ein. Der «Copper Canyon» bzw. die «Barrancas del Cobre» in Chihuahua, Mexiko kennen die wenigsten. Dabei ist dieses Schluchtensystem viermal so groß wie sein amerikanisches Pendant. Das Labyrinth aus sieben Hauptcanyons wurde über Millionen von Jahren durch tektonische Bewegungen und dem Lauf der Flüsse geformt.
Ferrocarril Chihuahua Pacífico
Durch die gesamte Barranca del Cobre schlängelt sich die aufwändig erbaute Eisenbahn «Chepe». Die klassische Route führt von «Los Mochis» an der mexikanischen Pazifikküste nach «Chihuahua». Über zahlreiche Brücken und durch Dutzende Tunnels wird dabei ein Höhenunterschied von 2.400 Meter bewältigt. Da wir von Zacatecas per Bus in den Copper Canyon einreisen, fahren wir die spektakuläre Eisenbahnstrecke in genau entgegengesetzter Richtung. In «Creel», dem Hauptort im Canyon, kaufen wir uns ein Ticket. Wir wollen während der Reise mehrere Zwischenstopps einlegen, was angeblich nur bei Zügen der 1. Klasse möglich sei. So greifen wir tief in die Tasche und bezahlen pro Person fast 100 USD. Los geht’s.
Zugegeben, der Chepe ist in erster Linie ein Touristenzug, speziell die 1. Klasse. Die Wagons und der Speisewagen sind modern eingerichtet. Nobel gekleidete Schaffner weisen uns zwei Plätze zu und versuchen wenig später Merchandising Artikel an den Mann zu bringen. Dennoch macht mir die langsame, unruhige und kurvenreiche Fahrt unglaublich Spaß. Kein Vergleich zu einer trostlosen Fahrt im ICE über deutsche Landen.
Divisadero & Posada Barrancas
Am Bahnhof «Divisadero» hält der Chepe für 15 Minuten. Viele Passagiere springen aus dem Zug, laufen vorbei an den fliegenden Händlern, die am Bahnsteig auf gute Geschäfte hoffen, zum gegenüberliegenden Aussichtspunkt. Zum ersten Mal können wir die Barrancas del Cobre in ihrer vollen Pracht sehen. Den wohl schönsten Ausblick auf den Canyon bekommen wir wenig später in «Posada Barrancas» präsentiert.
Hier endet unsere Fahrt fürs erste. Am Bahnsteig wartet bereits unser Abholer, dessen Frau einen Stand in Divisadero betreibt und uns ihre Cabañas in «Areponapuchi» schmackhaft gemacht hat. Wir schmeißen unsere Rucksäcke ins Zimmer, lassen uns wieder zum Canyonrand fahren und wandern mehrere Stunden den Abhang entlang.
Auf einem Felsvorsprung steht seit kurzem ein Themenpark, bestehend aus einer Seilbahn, einer 7 km langen Zipline und einer Bungee-Jumping-Anlage. Eine Achterbahn, mehrere neue Hotels sowie ein Golfplatz sind schon in Planung. Gute Nacht! Wir nutzen lediglich den Teleférico, der vom Kamm der Kupferschlucht in die Tiefen des Canyons führt. Für die angsteinflößende Zipline fehlt uns warmes Wetter und der Mut.
Die Terrasse eines an den Hang gebauten Spitzenhotels ist der ideale Ort, die Seele baumeln zu lassen. In Gesellschaft von mehreren Kolibris lassen wir den Tag bei einer Tasse Kaffee ausklingen.
Tarahumara-Indianer
Der Copper Canyon ist die Heimat der «Tarahumara», eine indigene Ethnie in Chihuahua. Sie sind für ihre Fähigkeit, Langstreckenläufe durch Wüsten, Schluchten und Berge zu unternehmen, berühmt. Die Männer bezeichnen sich daher auch als «Rarámuri» (=Läufer). Besonders auffällig an den Tarahumara sind ihre aus Lederbändern gebastelten «Huarache» Sandalen, die sie ganzjährig Barfuß tragen.
Die Tarahumara gelten als Ureinwohner der Barranca. Sie leben hauptsächlich von Ackerbau und Viehzucht. Wetterbedingte Ernteausfälle sorgen immer wieder für Hungersnöte. Aus diesem Grund, und um den «Parque de Aventura» überhaupt errichten zu können, genießen die Tarahumara besondere Privilegien. Die Nutzung der Seilbahn ist für sie kostenlos. Eine deutliche Erleichterung um in ihre Dörfer zu gelangen. Außerdem hat die Regierung ihnen teilweise neue Häuser gebaut, was selbstverständlich bei vielen Mestizen auf wenig Gegenliebe gestoßen ist.
Urique
Am nächsten Tag bringt uns der Chepe nach «Bahuichivo», wo wir in einen Mini-Van umsteigen. Wir wollen unbedingt zum Grund des Canyons, nach Urique. Zunächst hat man nicht das Gefühl in die Schlucht zu fahren. Im Gegenteil, bis «Mesa de Arturo» steigt die Straße sogar an. Dort wird ein Zwischenstopp eingelegt. Reisende können hier austreten oder eine Zigarette rauchen. Plötzlich hält ein alter, heruntergekommener Pickup, aus dem ein mit MG bewaffneter junger Mann steigt. Keine Panik denken wir uns. Der wird uns schon nichts machen. Uns war vorab bekannt, dass der Copper Canyon das größte Drogenhaus Mexikos ist. Am Grund der Schlucht gedeiht Marijuana vorzüglich. Allerdings ist der Preis drastisch gesunken, wodurch der Hype abgeschwächt wurde. Darüber hinaus hat die mexikanische Regierung viele Plantagen dem Erdboden gleichgemacht. Dennoch leben immer noch viele von und mit den Drogen. Wie dem auch sei. Man begrüßt sich freundlich und tauscht kleine Päckchen aus, bevor die Fahrt schließlich fortgesetzt wird. Die letzte Stunde schlängelt sich der der Van schlappe 1.700 Höhenmeter, eine staubige Serpentinenstraße hinunter. Eine Unachtsamkeit des Fahrers würde nicht nur das Ende der Fahrt bedeuten. Diese Gedanken kommen mir allerdings nicht in den Sinn. Die Ausblicke in das tief gelegene Tal sind einfach zu überwältigend.
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit landen wir schließlich sicher in Urique. Der kleine Ort liegt im tiefsten aller Canyons. Hier unten herrscht ein völlig anderes Klima. Es wachsen Palmen und tropische Früchte und im Sommer muss es bei 50°C unerträglich heiß sein. Im Reiseführer wird das «Entre Amigos» empfohlen. Der einzige Mitarbeiter dieser Herberge nimmt uns zufällig am Ende des Dorfes in Empfang und führt uns über einen Feldweg direkt ins Paradies. Mitten im Grünen, zwischen Bäumen, Kakteen und in völliger Einsamkeit, liegt ein kleines Anwesen. Es besteht nur aus einem Haupthaus mit großer Küche und einem etwas abgelegen Bad, dessen Warmwasseraufbereitung an das Mittelalter erinnert. In einem Offen wird das Wasser erwärmt und dem Durchlauferhitzer in der Dusche zugeführt.
Wir fühlen uns wirklich «unter Freunden», auch wenn wir die nächsten Tage alleine auf dieser Finca verbringen sollten – oder vielleicht gerade deshalb. Wir verpflegen uns mit den Produkten des hauseigenen Obst- und Gemüsegartens. Für die täglich Vitaminzufuhr sorgen Zitrusfrüchte, die wir pflücken und frisch gepresst trinken. Bis auf eine kurze Wanderung durch die Barranca de Urique machen wir NICHTS.
Lange überlegen wir noch ein paar Tage in Urique zu verbringen, aber das gebuchte Zugticket zwingt uns zur Abreise. So setzten wir uns wieder in diesen Mini-Van und fahren etwas wehmütig zurück nach Bahuichivo, wo wir das letzte Teilstück des Chepe zur Endstation «Los Mochis» antreten.